Angst ist nicht nur ein schlechter Ratgeber sondern die größtmögliche Bremse für jedes Unternehmen. Sie verlangsamt Wachstum, Innovation und jegliche Weiterentwicklung – wenn sie diese nicht sogar gänzlich stoppt.
Der Begriff der „psychological safety“ (auf deutsch psychologische Sicherheit) ist seit ca. sechs Jahren ein Begriff. Ende 2015 hat Google die Studienergebnisse des sogenannten Projects Aristoteles veröffentlicht. In der auf zwei Jahre angelegten Studie sollte herausgefunden werden, warum manche Teams auf einer scheinbar unendlichen Welle des Erfolgs surfen, während andere konstant auf der Stelle stolpern. Dabei wurden fünf Faktoren identifiziert, die erfolgreiche Teamarbeit erst möglich machen. Diese Voraussetzungen lauten*:
- Zuverlässigkeit
- Struktur und Klarheit
- Auswirkung der Arbeit
- Bedeutung der Arbeit
Doch der wichtigste Faktor, die Voraussetzung für alles, lautet psychologische Sicherheit. Sich sicher genug zu fühlen, Fehler machen zu können, Risiken einzugehen und auch in der Gegenwart seiner Kollegen verletzlich zu sein. Das „wahre“ Ich zeigen zu können.

Warum ist es so wichtig, dass über psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz gesprochen wird?
Um das zu verstehen, müssen wir erst verstehen warum Menschen überhaupt Angst auf der Arbeit empfinden:
Wie vieles im Leben sind diese Ängste evolutionär bedingt: Es gibt ein Areal in unserem Gehirn, das sich unablässig damit beschäftigt, was andere von uns denken. Vor allem mit dem was jene denken, die in der Hierarchie über uns stehen. Denn wenn es nach unserem Gehirn geht, ist die Gefahr zu sterben merklich erhöht, sobald unser soziales Umfeld uns zurückweist, weil wir nicht mehr den Schutz der Gruppe genießen Deshalb ist es für jedes Teammitglied wichtig, Sicherheit zu erhalten. Von Kollegen genauso wie von Führungskräften. Das Verhalten Letzterer ist aufgrund der Vorbildfunktion besonders wichtig.
Warum ist es für Unternehmen wichtig, psychologische Sicherheit zu schaffen?
Die Kurzfassung: Wenn Deine Amygdala konstant auf Hochtouren läuft, Du durchweg damit beschäftigt bist über Deine Schulter zu schauen, bist Du weitaus weniger effektiv und schon gar nicht innovativ. Die lange Fassung: Wenn Du konstant Angst hast, gehst Du weniger Risiken ein. Oder gar keine. Fehler werden vertuscht und nicht gelöst (und passieren so immer wieder). Wenn Menschen im Team Angst haben, neue Ideen zu teilen, weil sie man für gewöhnlich auslacht und/oder als inkompetent betrachtet, dann führt das dazu, dass immer nur die gleichen Ideen ans Licht kommen. Nämlich von denen, die am lautesten schreien. Ganz zu schweigen von dem Bürokratie-Monster: Menschen, die Angst haben, sichern sich mit riesigen CC Emailverteilern und einer Menge Meetings ab und treffen selten oder keine Entscheidungen – was am Ende zu einer riesigen Bremse für das ganze Unternehmen wird.
Und wie baut man nun psychologische Sicherheit auf?
Erfolgreiche Teams und Unternehmen sind nicht konstant glückliche und friedliche Gruppen, wo alles wie von Geisterhand läuft. Die einfach nur Glück hatten, zur richtigen Zeit mit der richtigen Idee am richtigen Ort zu sein. Hocherfolgreiche Unternehmenskulturen sind voller Energie und Engagement, mit einem Ziel: schwere Aufgaben gemeinsam zu lösen. In diesen Teams werden Fehler gemacht (die alte Weisheit „wo gehobelt wird, da fallen auch Späne“ war nie wahrer) – aber immer nur einmal. Denn Fehler werden an der richtigen Stelle angesprochen und gelöst. All das ist aber nur möglich weil die Mitglieder der Gruppe sich sicher fühlen. Dazugehörig fühlen.
Während es bei Unternehmenskultur nicht DIE eine Lösung gibt, so gibt es bei psychologischer Sicherheit durchaus das ein oder andere Patentrezept.
Zugehörigkeitssymbole sind Verhaltensweisen, die sichere Verbindungen in Gruppen schaffen. Dazu gehören u. a. Nähe, Augenkontakt, Energie, Mimik, Aufmerksamkeit, Körpersprache, Stimmlage, Tonlage und ob jeder mit jedem in der Gruppe spricht. Wie jede Ausdrucksform lassen sich auch Beziehungshinweise nicht auf einen einzigen Moment reduzieren, sondern bestehen vielmehr aus einem stetigen Strom von Interaktionen innerhalb einer sozialen Beziehung. Ihre Funktion ist es, die uralten, allgegenwärtigen Fragen zu beantworten, die in unseren Gehirnen glühen: Sind wir hier sicher? Was ist unsere Zukunft mit diesen Menschen? Lauern Gefahren?
Das Erkennen von Zugehörigkeit findet vor allem mit unserem unbewussten Denken statt. Alles dazu findet Ihr in diesem Video.
Zugehörigkeitssymbole haben laut Daniel Coyle in Culture Code folgende Qualitäten:
1. Energie: Volle Konzentration auf den in diesem Moment erfolgenden Austausch
2. Individualisierung: Das Gegenüber wird wertschätzend und einzigartig behandelt.
3. Zukünftige Ausrichtung: Es wird signalisiert, dass die Beziehung fortfährt.
Zusammen ergeben diese Symbole genau eine Nachricht: Du bist hier sicher.
Der Schlüssel zum Aufbau psychologischer Sicherheit liegt darin zu erkennen, wie sehr unsere intuitive Seite davon besessen ist, sich sicher zu fühlen. Ein oder zwei Signale reichen nicht aus. Wir sind so gebaut, dass wir viel Bestätigung von Sicherheit brauchen, immer und immer wieder. Deshalb ist es sehr leicht, ein Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit zu zerstören – aber nur sehr schwer aufzubauen.
Um ein erfolgreiches Team aufzubauen, muss es sich als allererstes sicher fühlen. Jeder hört jedem zu, und jeder kann mit jedem reden. So weit, so gut. Aber wie baue ich eine Unternehmenskultur der Zusammengehörigkeit? Antwort: Vor allem mit meinem Verhalten.
Sicherheit zu geben, ist ein riesiges Thema. Aber es gibt ein paar leicht im Alltag anwendbare Tipps:
- Präsent sein. Nicht nur physisch, sondern auch geistig. Während Reden Silber ist, ist aktives Zuhören Diamant. Dabei helfen z. B. eine zugewandte Körpersprache, Bestätigungen wie „aha“, „verstanden“ oder eine freundliche Version von „mhm“.
- Blickkontakt. Er ist ein elementarer Teil unserer nonverbalen Kommunikation und signalisiert Präsenz, Interesse und Aufmerksamkeit.
- Offen für schlechte Neuigkeiten sein. Es reicht nicht, den Überbringer schlechter Neuigkeiten nicht zu erschießen. Führungskräfte müssen diese Person mit Wertschätzung behandeln und sich für das Feedback bedanken, so schwer es manchmal fällt. Denn dann haben sie die Möglichkeit zu handeln, und das ist etwas, wofür man dankbar sein muss.
- Jeder hat eine Stimme. Es ist soviel einfacher, nur die Menschen reden zu lassen, die sich dabei wohlfühlen, ihre Meinung zu äußern. Oder mit denen man sich gut versteht. Aber das ergibt nur einen Teil des Gesamtbildes. Deshalb ist es wichtig, kein Meeting verstreichen zu lassen, ohne dass wirklich jeder etwas dazu beigetragen hat.
- Vorbild sein – jeden Tag. Fast die wichtigste Regel: Regeln gelten für alle, sonst sind sie wertlos. Wenn Pünktlichkeit ein Wert des Unternehmens ist und der Chefregelmäßig zu spät kommt, macht es für niemanden Sinn, sich daran zu halten. So ist es mit allem: Werte, Vorgaben und Regeln müssen von ausnahmslos allen am Leben gehalten werden.
- Dankeschön. Man kann selten zu oft danke sagen aber in diesem Zusammenhang hat es weniger etwas mit einem einfachen „Danke“ zu tun, denn einer regelmäßigen Bestätigung der Beziehung.
- Fehler passieren auch der Führungskraft – und das ist auch gut so. Es ändert nichts an der Wahrnehmung einer guten Führungskraft, wenn sie dazu in der Lage ist über sich selbst zu sagen: „Verdammt, das habe ich verbockt!“ Oder „Das ist nicht mein Spezialgebiet, vielleicht kennt sich hier jemand besser aus?“. Ganz im Gegenteil, Teammitglieder wissen es zu schätzen, wenn Chefs/Chefinnen Verantwortung für ihr Tun übernimmt.
Am Anfang werden sich einige Verhaltensweisen noch unnatürlich anfühlen. Und nicht jede Änderung bringt sofortige Ergebnisse. Doch steter Tropfen höhlt den Stein.

*Da sich dieser Artikel nicht um diese andere Faktoren dreht, sind die Informationen hierzu absichtlich kurz gehalten. Eine gute Zusammenfassung gibt es auf Englisch entweder direkt von Google oder einen Artikel der New York Times. Auch in Deutschland haben viele Medien dieses Thema aufgegriffen. Eine gute, übersichtliche Zusammenfassung findet man auf t3n.